Vom besten Egg Coffee, frischer Pho und einem modernen Vietnam
Als ich das erste Mal vor vielen Jahren vom Flughafen in die Stadt gefahren bin, ging es mit dem Taxi über eine löchrige Landstraße, auf Mopeds wurde von Fischreusen über Berge von Früchten und Gemüse bis zu lebenden Schweinen alles transportiert – und heute?
Heute führt eine neue Autobahn zügig durch Vororte in eine ebenso hochmoderne Stadt. Fast bin ich ein wenig enttäuscht. Doch je weiter wir in die Stadt vorstoßen, desto bekannter fühlt es sich an: schmale hohe Häuser säumen die Straßen, gerade mal so breit wie ein Zimmer; gefühlte Millionen Motorroller schießen heute wie damals aus allen Ecken hervor und ergießen sich wie ein stetiger Strom durch die Stadt. Chaotisch und dennoch geordnet – und mit ein wenig Übung gelingt es mir sogar die Straße unbeschadet zu überqueren.
Mein Hotel liegt am Rande des „Old Quarters“ und auch hier gehe ich auf Spurensuche und finde immer noch die Atmosphäre des alten Vietnam. Gemischt mit Souvenir- und Mobiltelefonshops. Ich freue mich riesig, dass es das Café Giang noch gibt. Hier wurde vor vielen Jahren der köstliche Egg Coffee erfunden: schwarzer starker Kaffee mit einem dicken, süßen Ei-Schaum, den es so nur in Vietnam gibt und der süchtig macht.
Egg Coffee – Die Suche lohnt sich
Den besten Egg Coffee gibt es in den kleinen, unscheinbaren Cafés. Schwer zu finden, aber ohh, es lohnt sich. Über einen verwinkelten Souvenirshop, eine dunkle, verwitterte Treppe hinauf in einen verräucherten Raum geht es zum Beispiel ins Café Dinh. Hier sitze ich also im ersten Stock, auf den üblichen winzigen Hockern zwischen Einheimischen und komme schnell ins Gespräch. Nie käme man als ’normaler‘ Tourist auf die Idee, hier ein Café zu vermuten.
Auf dem Rückweg durch die Altstadt suche ich mir eine der kleinen Garküchen auf dem Bürgersteig, denn auch eine „Pho“, eine der leckeren Nudelsuppen, die hier direkt am Straßenrand frisch zubereitet werden, muss heute noch sein. Pho essen die Vietnamesen übrigens den ganzen Tag, morgens zum Frühstück, mittags, abends, als Snack zwischendurch – und fast immer an den Straßenständen, wo man sich mit den Nachbarn zum Plauschen trifft und die neuesten Nachrichten austauscht.
Nicht zu verachten ist auch ein gutes Banh Mi. An dieser Stelle ein Tipp von mir: Das beste bekommt man ebenfalls im Old Quarter bei Banh Mi 25. Lange Schlangen Einheimischer und Touristen zeugen von der Qualität des Snacks, der im Prinzip ein in verschiedensten Varianten belegtes Baguette ist.
Ich genieße den Bummel durch das geschäftige Viertel, das Feilschen mit den Souvenirhändlern, den Duft von Räucherstäbchen, die bunten Obststände und die alten Kolonialhäuser, bevor ich am Ende meiner Entdeckungsreise durch die Stadt müde ins Bett falle.
Der nächste Tag gehört dem Sightseeing. Im Ho Chi Minh Mausoleum herrscht strenge Ordnung, wehe man schert einen Schritt nach links oder rechts aus der Reihe aus, schon ist ein Wächter – oder eine noch strengere Wächterin – zur Stelle und weist energisch in die Reihe zurück. Immer schön zwei nebeneinander.
Ehrfürchtig pilgern unzählige Schulklassen am einbalsamierten Leichnam „Onkel Hos“ vorbei… mir erscheint der Personenkult skurril. Überall schallen sozialistische Lieder aus Lautsprechern. Auf riesigen Bildschirmen flackern pompöse Shows, die zum Geburtstag Ho Chi Minhs im Fernsehen ausgestrahlt wurden. Im Park ist die Laufrichtung vorgegeben und natürlich muss ein Foto in Ho’s Geburtshaus sein… Sozialismus in Reinform und vielleicht grade deshalb einen Besuch wert.
Am Hoa Kiem See dann ein völlig anderes Bild: Unzählige internationale Touristen konkurrieren mit den Einheimischen um den besten Platz zum Fotografieren. Doch während die Urlauber nur einen schnellen Schnappschuss machen, inszenieren die Vietnamesen ein professionelles Foto-Shooting mit Profi-Fotograf, Stylist und verschiedenen Outfits. Wofür soviel Aufwand? Ganz einfach, erklärt mir meine Reiseführerin Daisy, die Fotos werden für Dating-Plattformen gebraucht. Denn auch hier verliebt man sich mittlerweile gern online.
Entspannter ist es im Ethnologischen Museum mit seiner interessanten Ausstellung. Plötzlich hören wir hier lautes Lachen. Neugierig gehen wir ihm nach und staunen: Eine Gruppe junger und alter Vietnamesen haben sich neben einer Handvoll Touristen am Wasserpuppentheater versammelt und lauschen aufmerksam der Aufführung, die von alten Sagen und Märchen erzählt. Temperamentvoll wird vom Publikum das Geschehen kommentiert, mit den Helden gezittert und nach deren Sieg laut applaudiert. Herrlich.
Nach ein paar Tagen zieht es mich hinaus aus der Stadt. Eine Fahrt mit der Dschunke in der Ha Long Bucht lockt. Wird sie sich seit meinem letzten Besuch verändert haben? Die Antwort? Gewaltig. Sie hat sich gewaltig verändert. Wo man früher über die Boote zu „seiner“ Dschunke klettern musste, liegen nun nagelneue luxuriöse Anlegestellen mit exquisiten Lounges. Moderne Hotels bieten auch vom Land einen Blick auf die traumhafte Landschaft mit ihren spitzen Kalksteinfelsen, doch erst die Fahrt hinaus in die Bucht gibt den Blick auf die ganze Schönheit frei. Nein, man ist nicht allein in der Ha Long Bucht, doch die Schiffe halten Abstand zueinander und die Fahrt ist immer noch unglaublich schön. Zum Sonnenuntergang auf Deck, ein Cocktail in der Hand, die Sonne verschwindet langsam hinter den Felsen, das Meer schimmert golden – was gibt es Schöneres?
„Kontaktscheu sollte man in Vietnam nicht sein.“
Am nächsten Morgen öffne ich meine Augen zur aufgehenden Sonne. Mit einer entspannten Runde Tai Chi begrüßen wir den neuen Tag auf dem Sonnendeck, bevor wir mit dem Beiboot ein schwimmendes Dorf besuchen.
Die Fischer leben den größten Teil des Jahres in diesen schwimmenden Dörfern, bringen zwischendurch ihren Fang an Land oder verkaufen ihn gleich an die Dschunken. Weiter geht es zu einer Tropfsteinhöhle mit imposanten Stalagmiten und Stalagtiten und zu einer kleinen Insel, von deren Hügel aus man einen unvergleichbaren Blick auf die Landschaft hat. Leider kein Geheimtipp mehr. Viele, viele Menschen drängen sich auf die Spitze. Selfiestick an Selfiestick, Kamera an Kamera, Mensch an Mensch – kontaktscheu sollte man in Vietnam nicht sein. Und trotzdem – bei diesem umwerfenden Panorama lohnt sich auch dieser Ausflug.
Anschließend noch ein Bad im Meer und dann geht es zurück zur Schiffsanlegestelle und für mich gleich weiter in die ursprüngliche Region Sapa im Norden Vietnams.
Je höher wir kommen, desto kurviger die Straße und grüner die Umgebung. Dann tauchen die ersten Reis-Terrassen auf. Auch hier wieder eine unfassbar schöne Landschaft und ich freue mich darauf, sie zu entdecken. In Sapa treffe ich meine neue Reiseleiterin, Sisi, die mich in der Tracht der Hmong empfängt. Sie ist klein und energisch. Und sichtlich stolz auf ihre Herkunft.
Die Menschen hier fühlen sich in erster Linie ihrem Volksstamm verbunden. Vietnamesen sind sie nur für die Behörden. Sie halten ihre Traditionen und ihr Handwerk hoch und erhoffen sich von den zahlenden internationalen Gästen, dass sie dies noch lange können. Das führt auch dazu, dass es immer mehr sogenannte „Homestays“ gibt. Kleine Privatpensionen mit eigenen Zimmern, von ganz einfach bis fast luxuriös, in denen man einen direkten Kontakt zu den Menschen vor Ort hat und diese nachhaltig unterstützt. Mein Homestay Po hat kleine Bungalows, meine Terrasse mit Blick auf die Berge und Reisfelder möchte ich eigentlich gar nicht mehr verlassen.
Von meinem Bett schaue ich direkt ins saftig grüne Reisfeld, die Vögel zwitschern, weit weg höre ich Bauern beim Dreschen, denn ein Teil der Reisernte ist schon reif. Abends essen alle Gäste gemeinsam am großen Tisch und schnell bildet sich eine fröhliche internationale Runde.
Ursprüngliche Landschaft jenseits des Massentourismus
Am nächsten Tag machen wir eine Tour mit dem Scooter durch die Region und ganz oft halten wir, weil ich wieder einen Büffel, Bauern bei der Ernte, Kinder, Menschen in Tracht oder auch ganz einfach diese unglaublich schöne, ursprüngliche Landschaft jenseits des Massentourismus fotografieren möchte. Perfekt ist die Region Sapa auch zum Wandern – und zum Marathonlaufen, gerade jetzt findet ein Ultramarathon statt. Noch in der Nacht tauchen immer wieder Lichter am Weg auf – Läufer, die mit Kopflampe ihren Weg durch die Dunkelheit suchen.
Sapa -Stadt ist eher unscheinbar, aber von hier führt die neue Standseilbahn zur Bergstation des Fansipan, den höchsten Berg Vietnams mit 3143 Metern Höhe. Von der Bergstation führt eine spektakuläre Fahrt mit der Gondelbahn bis kurz vor den Gipfel. Das letzte Stück geht man über steile Stufen. Eine riesige Buddha-Statue taucht immer wieder aus dem Nebel auf, Mantras ertönen aus mehreren Tempeln, Religion und Sightseeing vermischen sich auf das Schönste. Ohne Zweifel ein Höhepunkt meiner Reise.
Über Hanoi geht es per Flugzeug nach Da Nang und weiter nach Hoi An in Zentralvietnam. Da Nang punktet bei Touristen mit einem kilometerlangen Strand und modernen Ferienresorts, aber mich lockt das viel kleinere, ursprüngliche Hoi An mit seinen mit Lampions geschmückten Gassen.
In Hoi An sollte man sich Zeit nehmen
Die Altstadt lässt sich hervorragend zu Fuß oder mit dem Fahrrad erkunden, bequemer geht es mit der Fahrrad-Rikscha. Empfehlen würde ich aber, die Gassen zu Fuß zu erlaufen. Nur so entdeckt man die vielen kleinen Bars und Cafés mit ihren Dachterrassen, den Markt, die vielen Souvenirstände und kleinen Boutiquen mit schönem Kunsthandwerk – in Hoi An sollte man sich wirklich Zeit nehmen. Das gilt auch für einen Besuch bei einem der vielen Schneider und Schuhmacher, die innerhalb weniger Stunden Blusen, Kleider und ganze Anzüge auf Maß schneidern oder Schuhe maßanfertigen. Und das in sehr guter Qualität.
Am Abend entfalten die Gassen ihren ganz besonderen Zauber. Ich kehre zu Fuß von meinem Hotel in die Altstadt zurück und lasse mich treiben. Unzählige Seidenlampions in allen Farben und Größen beleuchten die Szenerie. Ich spaziere zum Fluss und hier ist es dann plötzlich ganz romantisch: Pärchen lassen kleine beleuchtete Lampions ins Wasser gleiten, dazwischen fahren Ruderboote mit verliebten Paaren und vor einem großen roten Herz stehen die Verliebten Schlange für ein Foto… hach…
Am nächsten Vormittag schnappe ich mir mein Fahrrad und erkunde die Gegend, ich bestaune die Japanische Brücke und bummele über den Obst- und Gemüsemarkt. Für eine Fahrt mit einem der kleinen runden Schilfboote fehlt mir leider die Zeit. In meinem Hotel haben sich eifrige Teilnehmer zu ein Kochkurs zusammengefunden und ich höre begeisterte ‚Ahs‘ und ‚Ohs‘ beim Zubereiten der typischen Köstlichkeiten. Nicht weit entfernt findet in einer Werkstatt ein Lampion-Workshop statt – hier kann jeder gegen Voranmeldung seinen ganz eigenen Seidenlampion bauen und als Souvenir mitnehmen.
Ein letzter Höhepunkt meiner Reise durch den Norden Vietnams erwartet mich: die legendäre „Golden Bridge“ in Bana Hills. 2018 eröffnet und ein Touristenmagnet ohnegleichen. Die Pfeiler in Form zweier riesiger Hände halten eine vergoldete Brücke, ein architektonisches Meisterwerk!
Aber das ist beileibe nicht alles, was man in Bana Hills entdecken kann, hier verbirgt sich ein riesiger Freizeitpark, der vor allem asiatische Gäste anzieht. Nicht nur die drei verschiedenen Seilbahnen, die alle auf den Gipfel führen, der Märchengarten, das Labyrinth und verschiedene Tempel warten auf Besucher – man hat tatsächlich eine komplette mittelalterliche französische Stadt mit Burg errichtet. Daneben ein mehrstöckiges Gebäude mit Geisterbahn, Kettenkarussell und Kirmes-Attraktionen – unglaublich.
Ich blicke meinem letzten Abend in Hoi An mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen. Noch einmal genieße ich einen Cocktail und eine leckere Pho am Flussufer, bevor es wieder gen Heimat geht.
Und wie es so mit alten Freunden ist, sehne ich mich schon jetzt nach einem Wiedersehen mit Vietnam.
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