Wie (über-) lebt eine Reiseveranstalterin in Zeiten des Corona-Virus?
Ende Januar erreichten uns die ersten Nachrichten zum Ausbruch eines neuartigen Virus in Wuhan in China. Noch schien uns das alles nicht zu betreffen und wir schauten mit einem Gruseln den Nachrichten aus China zu. Im Februar wurden die Nachrichten drastischer, die ersten Nachbarländer meldeten ebenfalls Neuerkrankungen mit Covid 19 … aber noch dachten wir alle, diese Krise wird an uns vorübergehen .. . wie wir uns doch alle geirrt haben …
Tempel, Holi, Ayurveda
Am 2. März flog ich nach Indien um letzte Vorbereitungen für meine Frauengruppe zu unserer Reise „Tempel, Holi, Ayurveda“ zu treffen; bei der Einreise alles wie immer. Aber schon drei Tage später, als meine Teilnehmerinnen ankamen, waren die Einreisebestimmungen verschärft worden und es dauert fast vier Stunden, bis alle die Immigration überstanden hatten und wir uns begrüßen konnten. Wenige Tage später wurde ein Einreisestopp für Franzosen und Italiener verhängt und erste Hotels weigerten sich, französische oder italienische Gäste aufzunehmen.
Wir hatten Glück und erlebten unbeschwerte Tage, besichtigten das Taj Mahal, streiften über die Märkte, feierten das ausgelassene Holi-Festival mit Tausenden von Indern im Krishna-Tempel in Jaipur und hatten viele schöne Begegnungen mit den Menschen Indiens.
Do You Have Any Symptoms?
Erst am Ranthambore Nationalpark holte uns die Wirklichkeit ein, das Hotel weigerte sich uns einzuchecken, bis wir von einem offiziellen Ärzteteam untersucht seien. Wir warteten über zwei Stunden an der Rezeption, es wurden Mund-Nasen-Masken verteilt und Abstand gehalten. Als die Ärzte endlich erschienen, gab es nur eine Frage: „Do You Have Any Symptoms?“ Nein, hatten wir nicht, und damit war alles erledigt …
So konnten wir auf Tiger-Safari gehen und dann in den Süden nach Kerala in unsere schönes Ayurveda-Resort fliegen. Beim Inlandsflug gab es die ersten Fragebogen zu Corona-Erkrankungen und es war deutlich zu spüren, dass die Beamten zunehmend nervös wurden. Im Ayurveda-Resort wurden wir wie immer verwöhnt und genossen die Behandlungen und die Spaziergänge am Strand, bis dieser am dritten Tag unseres Aufenthaltes für alle gesperrt wurde. Gleichzeitig wurde eine Ausgangssperre erteilt, wir waren quasi interniert. Die ersten Informationen sickerten durch, dass alle Hotels in Indien zum 30. März schließen müssen und, dass zunehmend Flüge gestrichen wurden. Auch hier hatten wir wieder Glück und konnten unseren gebuchten Rückflug wahrnehmen, der gleichzeitig der letzte reguläre Flug aus Indien nach Deutschland war …
Zurück in einer anderen Welt
In Frankfurt erwartete uns eine andere Welt als wir sie kannten, am Flughafen waren die Geschäfte geschlossen, es war fast ein wenig gespenstisch.
Dann kam die weltweite Reisewarnung und wir fielen in eine Art Schockstarre – so eine Maßnahme hätten wir alle vor sechs Monaten noch als Science Fiction abgetan. Sehr schnell wachten wir wieder auf, wir mussten unsere Gäste aus den Destinationen zurückholen. Bei permanenten Flugstreichungen und Schließungen von Flughäfen von einen Tag auf den anderen keine leichte Aufgabe. Die Rückholaktion von Veranstaltergästen geht finanziell komplett zu Lasten des Veranstalters, uns entstanden immense Kosten, da wir zum Teil drei oder vier Tickets für unsere Kunden kaufen mussten, die dann alle kurzfristig von der Airline gecancelt wurden. Auf die Erstattung durch die Airlines warten wir bis heute.
Gleichzeitig mussten wir alle Reisen, die bis zum Ende der weltweiten Reisewarnung gebucht waren, kostenfrei stornieren und zu 100 Prozent an unsere Kunden zurückzahlen, es ist uns nicht einmal erlaubt eine noch so geringe Bearbeitungsgebühr einzubehalten. Im Gegensatz zu den großen Tourismuskonzernen gehen wir über 2000 kleinen und mittelständischen Reiseveranstalter für die Reisen bei unseren Leistungsträgern in den Destinationen und bei den Airlines in Vorlage, spätestens 30 Tage vor Anreise der Gäste, manchmal auch noch viel früher, zahlen wir unsere Verbindlichkeiten wie Hotelkosten, Transferkosten, Reiseleiter, Ausflüge und Flugtickets. Diese Gelder erhalten wir gar nicht oder nur in Form von Gutscheinen zurück, das heißt Liquidität fließt massiv ab bei gleichzeitig weiterlaufenden Kosten und keinerlei Einnahmen. Auch die Reisebüros möchten zu Recht ihre Provision haben, so dass wir bei jeder Rückzahlung mehr ins Minus gehen.
Unzählige Reisen mussten storniert werden, dabei sind wir unendlich dankbar für unsere Stammgäste, die zum großen Teil ihre Reisen auf das nächste Jahr verschoben und ihre Anzahlung stehengelassen haben. Das hat uns enorm geholfen.
Die staatliche Soforthilfe haben wir beantragt und auch zügig ausgezahlt bekommen, diese ist bei der Anzahl der Auszahlungen aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Weitere Unterstützung vom Staat lässt auf sich warten, wir diskutieren mit diversen Mitgliedern des Bundestages, mit dem Tourismusbeauftragten, mit den Herren Altmaier und Scholz, und werden mittlerweile seit zehn Wochen hingehalten. Wir unterliegen quasi einem Berufsverbot und es ist nicht abzusehen, wann wir unser Geschäft wieder aufnehmen können. Auch die ersten vorsichtigen Grenzöffnungen helfen uns nicht wirklich weiter, da wir – wie viele Kollegen – überwiegend auf Fernziele spezialisiert sind.
Der Blick nach vorn
Natürlich haben wir unsere Hände nicht in den Schoss gelegt, wir haben neue Deutschlandreisen entwickelt, unter anderem eine tolle Hausboot-Tour auf der Mecklenburger Seenplatte. Wir sind dabei ein exklusives Weinwochenende im Rheingau auf die Beine zu stellen und organisieren mit unseren Kollegen aus Sri Lanka ein Online-Cooking-Event, bei dem wir den Erlös komplett unserer Partner-Agentur nach Sri Lanka überweisen, denn dort gibt es keinerlei staatliche Unterstützung für die Menschen im Tourismus, die alle ebenfalls seit nunmehr fast drei Monaten keine Arbeit mehr haben.
Wir bauen unsere Frauenreiseseite komplett neu auf und werden sie mit einem Online-Shop versehen. So können wir die tollen Produkte, die wir auf unseren Reisen finden, unseren Gästen daheim auch zur Verfügung stellen und so lokale Unternehmen unterstützen.
Kurz gesagt, wir tun alles um mit 1 ½ blauen Augen aus der Corona-Krise herauszukommen und weiter für unsere Gäste da zu sein, denn eines ist klar: Aufgeben ist keine Option!
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